War von euch schon mal jemand auf einem 100. Ehrentag? Ich hatte am letzten Wochenende die Ehre, dem 100. Geburtstag des SC Groß-Zimmern in Form des Jubiläumsopens beizuwohnen. Lasst mich euch auf die Feier mitnehmen. Happy Birthday!
Bevor ihr euch den Kopf zerbrecht: Groß-Zimmern ist eine 14.000 Einwohner-Stadt in der Nähe von Darmstadt. Und warum fahre ich dahin? Ganz einfach: Nach einer dreistündigen Suche haben mein Kumpel Julian und ich kein anderes Turnier gefunden, was man spielen könnte. Zufällig waren auch noch genau zwei Plätze frei, die die exakt 100 Teilnehmer zum 100. Geburtstag vollmachten. Also machten wir beide uns am Freitag auf den Weg nach Hessen. Dank der absoluten Pünktlichkeit der deutschen Bahn war die Reise zum Glück absolut stressfrei. *HUST*
Dafür haben wir in unserer Unterkunft dann das hier gefunden:
Vorweg: Das Turnier war sehr angenehm zu spielen, weil als Modus das sehr ungewöhnliche 90 Minuten für 40 Züge + 30 Minuten OHNE Inkrement gespielt wurde. Das garantierte jedem Spieler mindestens zwei Stunden Pause zwischen der Vormittags- und Nachmittagsrunde. Natürlich gab es auch ein paar Streitfälle in der Zeitnot. Ich sage nur mal das Stichwort "Anhang G4". Wir beide blieben davon das ganze Turnier aber verschont.
Julian und ich waren beide in der oberen Hälfte des Teilnehmerfeldes gesetzt und hatten in der ersten Runde keine großen Probleme. Julian zerlegte einmal nach allen Regeln der Kunst die Caro-Kann-Verteidigung und siegte problemlos. Ich bekam in der ersten Runde ein talentiertes Mädchen, das leider (aus ihrer Sicht) die Theorie in Zug 8 nicht mehr kannte und ihre Stellung dann so sehr verbaute, dass ich die Partie positionell runterspielen konnte. Sie hatte vor dem Turnier eine DWZ von 1266 und sollte in dem Turnier eine 1779er Leistung spielen. Dafür gab es für sie dann auch einen Kategoriepreis. Hut ab!
In Runde 2 bekam ich einen Gegner ohne DWZ, der in Runde 1 aber eine 1770 geschlagen hatte. Zu meinem Glück spielte er in meiner Eröffnung in Zug 5 genau den natürlichen Zug, der überhaupt nicht funktioniert und die Partie taktisch sofort wegstellt. Aus taktischen Gründen verzichte ich hier auf ein Diagramm. An meine zukünftigen Gegner: Ihr müsst leider andere Wege finden, euch gegen mich vorzubereiten. 😛
Ich wickelte die Stellung in ein Turmendspiel mit zwei Mehrbauern ab und gewann die Partie fehlerfrei. Auch dieser Gegner konnte am Ende einen Ratingspreis abstauben. Schön, wenn wenigstens die Gegner was abräumen können...
Julian unterlag leider mit den schwarzen Steinen nach großem Kampf.
In Runde 3 kam dann für mich der erste große Brocken (knappe 2100). Bei der Vorbereitung auf diese Partie fiel mir auf, dass mein Gegner eine Zugreihenfolge in der Eröffnung wählte, die für mich äußerst ungünstig ist. Also kehrte ich die Zugreihenfolge selbst um, was beim Gegner eine sofortige Wirkung erzielte. Dass er mit meiner Theorie überhaupt nicht vertraut war, konnte ich seiner Körpersprache ganz deutlich anmerken. Die Partie gestaltete sich ausgeglichen, bis er seine Dame so tief in meine Stellung bewegte, dass die Partie glatt verloren ist. Dies realisierte ich jedoch gar nicht so richtig. Wir begaben uns beide in Zeitnot und zumindest ich blickte nicht durch. In der vermutlich komplett gewonnenen Stellung für mich wickelten wir beide in Zug 25 ins Remis ab. Währenddessen zerlegte Julian noch einmal Caro-Kann. Hierzu gibt es das erste Rätsel als Aufwärmung [Rätsel 1]:
Runde 4 stand dann schon am Sonntag-Vormittag an. Ich bekam mit Weiß eine 2023 und war richtig heiß auf das Spiel. Mein Gegner entschied sich für eine Variante, die einen Bauern opfert, um das Vollzentrum zu besetzen. Es entwickelte sich später eine Stellung, in der ich zwei Mehrbauern hatte, die Partie aber oft so fehlerhaft behandelte, dass die Engine immer wieder Ausgleich anzeigt. Mein Gegner konnte das aber nie so richtig nutzen und musste in Zug 42 angesichts des glatten Damenverlustes aufgeben. Zum Glück hat nicht jeder Schachspieler mit den Initialien FC (und vermutlich italienischen Wurzeln) eine 2800er Zahl.
Julian erarbeitete sich mit Schwarz ein Endspiel mit zwei Mehrbauern, musste hier aber genau rechnen. Kann Schwarz hier auf h4 den Bauern nehmen, um das Endspiel zu vereinfachen? [Rätsel 2]
Mit einem Score von 3.5/4 ging es für mich in die letzte Runde. Zum Dank bekam ich die Nummer 1 der Setzliste mit einer Zahl von 2221. Ich konnte mich noch etwas vorbereiten, hatte aber von der Variante eigentlich keine Ahnung. Da diese Partie wirklich sehr viele spannende Momente hatte, gehe ich hier etwas ausführlicher darauf ein:
Erste Frage: Aus welcher Eröffnung heraus ist diese Stellung entstanden? (Ich habe Schwarz.) [Rätsel 3]
Zu diesem Zeitpunkt sah ich mich mit der ersten schwierigen Entscheidung konfrontiert. Spiele ich den automatischen 14... Se5? Oder verhindere ich doch sein Spiel mit 14... h5? Oder suche ich direkt das Spiel am Damenflügel mit a6? Ich habe mich für letzteres entschieden. Inwiefern das der richtige Plan ist, überlasse ich der Schwarmintelligenz. Lasst mir hierzu gerne mal einen Kommentar da. Mein 14...a6?! führte letztendlich dazu, dass seine d- und a-Bauern zu Freibauern wurden, was mich die ganze Partie über glauben ließ, die Partie sei positionell für mich komplett verloren. Die Engine gibt sehr lange Ausgleich. Ich hasse Engines. Und Schach. Und alles.
Wie dem auch sei: Die Partie war ein ständiges Auf und Ab. Meinen Zügen hat man angesehen, dass mir dieser Stellungstyp noch relativ neu ist, auch wenn ich einige Motive kannte. Und die Züge meines Gegners waren auch alles andere als optimal (vor allem, wenn man mal seine Zahl berücksichtigt). Unmittelbar vor der Zeitkontrolle erreichten wir dann diese Stellung:
Ich überlasse es erneut euch, den besten Zug für Schwarz zu finden [Rätsel 4], den ich hier ausgelassen hatte, obwohl ich das Motiv sogar gesehen habe. Zu allem Überfluss wurde es ein paar Züge für mich noch frustrierender:
Auch wieder hätte ich gerne wieder die beste Fortsetzung von Schwarz gewusst, die ich verpasste [Rätsel 5]. Dieses komplett unerwartete Läuferopfer warf mich so krass aus der Bahn, dass ich gar nichts mehr verstanden habe. Und das, obwohl dieses Opfer komplett falsch ist. Ich vermute, es war eine Kombination aus einer über die gesamte Partie anhaltenden falschen Stellungseinschätzung und zu hohem Respekt seiner Zahl gegenüber. Wie auch immer. Ich nahm letztendlich sein Opfer an und behandelte in Zeitnot das vereinfachte Endspiel falsch und verlor diese Partie. Am Ende stehe ich bei einem Score von 3.5/5, was mein bestes Turnierergebnis bedeutet. Einen Kategoriepreis gab es leider trotzdem nicht.
Julian konnte in seiner letzten Partie erneut auf seine Puzzle-Rush-Fähigkeiten vertrauen und sich somit einen überragenden 4/5-Score inklusive Rating-Preis sichern [Rätsel 6]:
Am Ende lässt sich sagen, dass es für uns eine schöne Geburtstagsfeier war. Besonders interessant waren auch immer wieder die Gesichtsausdrücke, als man den anderen Teilnehmern (oder auch dem Betreiber des Döner-Ladens um die Ecke) erzählte, dass man aus Leipzig und Erlangen extra zum Turnier anreiste. Zitat des Betreibers: "Ihr müsst euer Hobby echt lieben um extra hierher zu kommen." Noch nie wurden wahrere Worte gesprochen.
Eine Geschichte bleibt noch übrig. Die Siegerehrung ging leider zu lange, um die letzte Verbindung nach Hause zu erwischen. Zu unserem großen Glück bot Schachfreund Matthias an, uns zum nächsten Bahnhof zu fahren. Mit seiner Hilfe habe ich sogar noch die letzte Verbindung bekommen. Auch an dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an dich, Matthias! Mit dieser Aktion wurde ein viel zu kurzes, aber doch sehr intensives und aufregendes Turnierwochenende beendet.
Zum Abschluss gibt es natürlich noch wie immer die Auflösungen der Rätsel:
Rätsel 1: Jeder, der sich regelmäßig mit Taktikaufgaben beschäftigt, erkennt das Ablenkungsmanöver mit 1. De7+ Kc8 2. Dxe8+ Txe8 3. Txe8#
Rätsel 2: 1...gxh4 funktioniert! Der Schwarzspieler muss jedoch die kritischste weiße Fortsetzung finden. Diese besteht nämlich nicht aus 2. Kxh4 (hier sollte die Springergabel auf f5 zum Sieg ausreichend sein), sondern 2. Kf4 und wir haben den seltenen Fall einer Königsgabel. 😉
Diese ist aber zum Glück harmlos wegen: 2... Te7!! 3. Txe7 Sd5+ nebst Gabel und absoluter Gewinnstellung.
Rätsel 3: Diese Stellung kam aus der Leningrader Variante (4. Lg5) des Nimzo-Inders.
Rätsel 4: 1... Txf2!! sichert Schwarz den halben Punkt, weil die Dame nach der Annahme des Opfers die Kontrolle über das a5-Feld verliert. In meiner Variantenberechnung dachte, ich müsste mit Dd7 --> Da4 vorbereiten. Ich sah die Dauerschachmotive, verpasste aber, dass das Turmopfer sofort geht.
Rätsel 5: 47. Lc6?? läuft in ein forciertes Matt in 8 nach 47... Ta1+.
Falls 48. Kb2 ist 48... Dd1!! der stille Killer und das Matt kann nicht mehr abgewendet werden, weil die weißen Figuren auf der c-Linie dem eigenen König den Fluchtweg versperren.
Und falls 48. Kb4 Dd2+ forciert 49. Tc3 Tb1+ neben dem Turmverlust wenige Züge auch das Matt. Und 49. Kb5 läuft nach 49... Da5# direkt ins Matt.
Rätsel 6: Einmal Puzzle Rush bitte: 1...Dxc2+ 2.Txc2 Td1+ nebst dem Schlagen auf c1 mit Matt.
Julian Weber
War ein super Wochenende! 🙂
Nächstes Mal geht der Kampf mit einer 2200 zu deinen Gunsten aus!!!