Nachdem in den letzten 2-3 Jahren die Turnieraktivität unserer üblichen Vielspieler etwas abgenommen hatte und wir uns dadurch aber auch mal unserer Männertags-Vereinswandergruppe nach Bad Kösen anschließen konnten, war es dieses Jahr für Alv, Christian Dehner, Niko und Sadko endlich mal wieder Zeit für ein Turnier über Himmelfahrt, diesmal sogar in Begleitung mit unseren turnierwütigen Jugendlichen Flosch und Luca. Oder haben wir eigentlich vielmehr sie begleitet?
Wir entschieden uns also für die Invasion des 24. Stendaler Opens. Dort erwarteten uns geradezu ausgezeichnete Bedingungen: verschiedene Restaurants und Kneipen, ein hervorragender Turniersaal im Landratsamt, mit Ausblick und eine wunderschöne Unterkunft etwa 15 km weiter, in der unsere Profis uns auch ihr kulinarisches Können unter Beweis stellten:
Zunächst reisten wir in kluger Voraussicht bereits am Mittwochabend nach Stendal um erstmal in der Ferienwohnung anzukommen und unsere Einkäufe zu erledigen. In schachlicher Hinsicht konnten wir die "Einkäufe" auch gleich am nächsten morgen am Brett fortsetzen, wo wir, mit Ausnahme von Niko, Open-typisch erstmal auf leichte Gegner trafen, welche wir auch leicht besiegen konnten. Niko war der Einzige, der das Turnier von Oben aufrollen musste und spielte hier schon eine relativ lange, aber defensive Partie gegen eine 2100, in welcher er zwar den Laden gut zusammenhielt, aber letztlich doch kaum Gestaltungsmöglichkeiten hatte.
Nun hatten wir für ein Turnier mit 48 Teilnehmern schlicht deutlich zu viele Spieler dabei, um vereinsinterne Begegnungen zu vermeiden, aber das Duell Luca-Christian in Runde 2 kam dennoch überraschend früh. Luca hatte zwar recht rasch einen Mehrbauern, Christian behandelte aber das Endspiel sehr gut und so einigten sich beide auf Remis; genau wie Alv, der mit Schwarz keine offensiven Möglichkeiten fand. Ja, auch das soll vorkommen. Sadko musste gegen einen starken Jugendspieler nach einiger Zeit die Waffen strecken. Währenddessen konnten Florian und Niko ihre Gegner sehr überzeugend besiegen. Hier mal nur zwei kleine Beispiele von Florians brutalem Angriffsschach; ihr könnt entscheiden, welches Beispiel schöner ist:
Am Freitagmorgen konnte der VfB dem späteren Turniersieger Stephan Hansch bereits den 2. Herausforderer liefern; leider konnte auch Florian ihn an Brett 2 nicht besiegen. In Runde 3 kam Luca dann richtig in Turnierform, die ihn bald an die Tabellenspitze tragen sollte und gewann eindrucksvoll seine Partie. Auch Sadko konnte nach einem Eröffnungsfehler des Gegners punkten:
Irgendwie gefiel seinem Gegner die Hippopotamus-Verteidigung. Sadko auch. Immerhin ist es ja doch durchaus selten, dass der erste geschlagene Stein des Gegners ein Turm ist... ^^
Niko und Christian verloren leider. Einige würden auch Alvs Partie als "etwas seltsam" bezeichnen, andere nennen es "seinen Turniermodus". Er war als Weißer im Siizilianer gegen einen Igel einigermaßen gut aufgestellt und wollte gerade seinen Angriff starten, als sein Gegner die Stellung sprengt. Laut eigener Aussage fand er sich zunächst mit dem Rücken zur Wand wieder, konnte dann einen Mehrbauern mit Mühe stoppen, hätte anschließend trotzdem verlieren müssen, konnte aber dann doch den entscheidenden Bauern nehmen... und die Stellung kippte innerhalb von 5 Zügen von -10 auf +10 mit dem entsprechenden Ergebnis. Also alles wie gewohnt. 😉
In Runde 4 war Alv wohl noch mit der Deutung von Partie 3 beschäftigt und spielte gegen Luca eine nicht ganz bekannte Linie recht schnell und "freimütig"... Nun, Sadko fühlte sich da an Dresden 2017 erinnert (die Partie "Bauer gegen Petersohn" ^^)... jedenfalls war die Figur bei Alv ähnlich schnell weg ...
Ach Mist 😉 Naja, so konnten Alv und Luca zumindest die Einkäufe für das Abendessen erledigen.
In Runde 5 spielte Alv gegen einen Gegner, den er schon aus Potsdam kannte. Die Fehler von damals wurden dieses Mal vermieden und Alv stand nach 32 Zügen konsequenterweise auf Gewinn, machte dann einen unglücklichen Fehler und musste Remis bieten, was der Gegner dankbar annahm. Luca war nach dem freien Nachmittag sehr ausgeruht und besiegte erstmal den Vorjahressieger des Turniers. Hier, schaut euch das mal an!
Was hättet ihr hier an Schwarz seiner Stelle gemacht? Lucas Gegner entschied sich jedenfalls gleich dazu, die Qualle zu opfern...
Niko und Florian spielten in engen Partien, diesmal jedoch ohne Erfolg. Parallel dazu mussten Christian und Sadko ihre Partien nach langem Kampf Remis geben respektive klammern. Nikos und Sadkos Partien waren die längsten und dauerten genau die vorgeschriebene Zeit von 4 Stunden, was unsere Zeit zum Essen massiv einschränkte... Denn: Nach dem Essen kamen wir alle einige Minuten zu spät, was zwar an und für sich in seiner Tragik überschaubar war. Jedoch ergab sich daraus ein Problem:
- Sadko hatte das Auto noch geparkt und kam als letzter,
- nahm bei seinem Gegner Platz, dieser sagte, er freue sich, dass er nun nicht spielfrei habe;
- Sadko notiert den Namen des Gegners auf dem Partieformular
- und sagt dem Gegner leise, dass er noch sein Handy, das bereits lautlos eingestellt war, jetzt noch ausschalten wolle
- und tat dies daraufhin.
Beim Ausschalten kam es zu einem leichten Vibrieren des Handys (wie üblich beim Ausschalten), was der Gegner mit einer sofortigen Reklamation beantwortete und was dann zu einer umfangreichen Diskussion im Vorraum des Turniersaals führte.
Hierbei stehen zwei Fragen in Raum:
Wann beginnt man eine Partie mit den Schwarzen Steinen? Reicht die Anwesenheit? Die Hände wurden sich noch nicht gegeben, auch der erste Zug wurde von Schwarz nicht ausgeführt. Die Uhr war vom Schiedsrichter in Gang gesetzt worden. Ist das öffentliche Ausschalten des Handys in der "Öffentlichkeit" nicht so ähnlich zu bewerten, wie unter Aufsicht eines Schiedsrichters?
Nach einigem Hin und Her einigte man sich auf den Neubeginn der Partie. Sadko war aus Ärger wohl nicht mehr ganz bei der Sache und verlor. Niko konnte einen überzeugenden Sieg einfahren, genauso wie Luca. Auch eine Vereinspaarung gab es mit Florian und Christian wieder, in der beide nach einigen Versuchen, die friedliche Einigung anstrebten. Bei Alv hingegen hatte das Chaos aus merkwürdigen Einstellern auf beiden Seiten komplett die Kontrolle übernommen und er hatte nach 15 Zügen eine Mehrfigur auf. Besser nicht fragen 😉
Nach dieser Runde hatte Luca mit 5,5/6 die Tabellenführung übernommen, wonach Stephan Hansch mit 5/6 kam, dann eine Verfolgergruppe mit 4,5/6. Und schließlich die Verfolgergruppe der Verfolgergruppe mit rein theoretischen Preischancen und mit Alv an Tabellenplatz 7.
In dem Wissen, anschließend noch 2,5 Stunden zu fahren, nötigte er seinem stärkeren Gegner nach einer glücklichen Eröffnung umgehend ein Remis ab. Auch die restlichen vorderen Bretter einigten sich schnell. Lediglich Luca an Brett 1 kämpfte sehr lang, in einer Stellung mit wechselndem Nachteil (mal theoretischer, mal taktischer - immer alles sehr dünn) und verlor aber schließlich. Auch Niko und Sadko hatten ihre Eröffnung etwas verdorben und mussten sehr lange an diesen Partien sitzen um herauszufinden was eigentlich los ist. Währenddessen konnte Christian mit einem sehr schönen Vorgehen seine Figuren immer weiter in die gegnerische Stellung treiben. Die nachfolgende Analyse mit ihm und seinem Gegner bestätigte, dass der Gegner immer zwischen 0 und 1 Zug zur Auswahl hatte, um passabel weiterzuspielen, was bekanntlich nur ein Computer schafft. Die Partie endete mit einem gerechten Sieg für Christian. Flosch, der Schwarz hatte, wurde mit einem Königsgambit konfrontiert, was er mit einer interessanten Nebenvariante beantwortete, welche sich komplett unserer Kenntnis entzieht: Sagen wir es so: eröffnungstypisch ruinierte Weiß konsequent und schrittweise seine Stellung um seinen Angriff fortsetzen zu dürfen... dessen Illusion bald den Charme Potjomkinscher Dörfer aufwies. Diese Partie entschied Flosch also klar für sich. Zum Schluss spielte nach Nikos Niederlage nur noch Sadko - unter Menschentraubenbildung in peinlich komplett verlorener Stellung. Wenn da nicht wieder das Chaos eingegriffen hätte: Sadko: Knapp 90 Sekunden auf der Uhr (ohne Bonus) und ein ganzer Turm weniger, gegen 6,5 Minuten beim Gegner. Sein Gegner setzte jedoch konsequent auf Zeitüberschreitung durch Sadko und spielte ebenfalls Bullet, was dazu führte, dass er erst in ein Dauerschach lief und Sadko ihn dann mit kaum 20 Sekunden auf der Uhr sogar noch Matt setzen durfte. Ein schöner Krimi zum Ende.
Gleich darauf kam die Siegerehrung:
Luca wurde trotz Niederlage in der letzten Runde 2. Platz und freute sich sehends über seine verdienten 200 Euro. Herzlichen Glückwunsch nochmal an dieser Stelle! Flosch hat dazu noch den Jugendpreis erhalten, ebenfalls in Kombination mit einem Umschlag! Auf den Plätzen 8-11 versammeln sich Alv (8.), Flosch (9.) und Christian (11.) mit je 4.5/7. Sadko kam bei 3,5/7 raus und Niko bei 3/7.
Insgesamt nimmt der VfB ordentlich DWZ mit nach Hause, allerdings wurde die DWZ-Datenbank kürzlich aufgrund eines Cyber-Angriffs beschädigt, was eine zeitnahe Auswertung unmöglich macht. Bis dahin müssen wir es also erstmal wieder wie Siegbert Tarrasch, gut 100 Jahre vor uns halten, der dereinst sagte:
"Ich halte jeden Gegner, gegen den ich spiele, für einen Meister - solange, bis er mir das Gegenteil beweist."
Jedenfalls hatten wir alle sehr viel Spaß die Tage und freuen uns schon auf das nächste Event.
Alv und Sadko
René
Hallo,
sehr schöner Bericht und herzlichen Glückwunsch an alle!
Als Kommentar von mir zur Auslegung der Regelung für das Mobiltelefon: Der Schiedsrichter hat sich meiner Meinung nach geirrt und hätte auf Verlust entscheiden müssen. Der reklamierende Spieler ist zwar vielleicht etwas kleinlich, hat aber zurecht reklamiert.
Relevante Regeln:
FIDE Laws of Chess: 12.3 b)
"Without the permission of the arbiter a player is forbidden to have a mobile phone
or other electronic means of communication in the playing venue, unless they are
completely switched off. If any such device produces a sound, the player shall lose
the game. The opponent shall win. [...]"
Ausschreibung:
"Handy: Offen auf dem Tisch liegende ausgeschaltete Handys sind erlaubt."
Zunächst schränkt die Ausschreibung die FIDE-Regeln in keinster Weise ein. Nach den FIDE-Regeln wäre es erlaubt ein Handy ausgeschaltet in den Turniersaal zu bringen und dort abzulegen. Konklusiv erlaubt die Ausschreibung zusätzlich, dass es ausgeschaltet auf dem Tisch liegen darf. Das ist bereits in den FIDE-Regeln enthalten. Wenn man argumentieren will, dass die Ausschreibung meint, dass sie NUR offen auf dem Tisch liegen dürfen, dann müsste sie das auch schreiben. Diese Frage spielt hier aber nur eine untergeordnete Rolle.
Die relevante Frage ist tatsächlich, wann eine Person ein Spieler ist und wann nicht. Ein Spieler ist tatsächlich bereits ein Spieler, auch wenn er selbst keine Partie begonnen hat. Der Zeitpunkt ab dem eine Person ein Spieler wird ist die Freigabe der Runde durch den Schiedsrichter. Dies kann durch Ansage "Runde freigegeben" oder durch Anschalten der Uhr passieren. Es spielt keine Rolle ob eine Partie tatsächlich stattfindet (d.h. ob beide Spieler einen Zug ausführen). Der Schiedsrichter hat nach dem Inhalt des Artikels genau dies getan.
Das Spieler so definiert ist folgt implizit aus der Formulierung in 1.1:
"The game of chess is played between two opponents who move their pieces alternately
on a square board called a ‘chessboard’. The player with the white pieces commences the
game. A player is said to ‘have the move’, when his opponent’s move has been ‘made’."
Dies ist auch ganz logisch, da man einen Spieler bereits sanktionieren können muss auch wenn er keinen Zug ausgeführt hat, beispielsweise weil er den Gegner bereits beim ersten Zug stört oder gar einen illegalen ersten Zug macht. Wenn er erst Spieler wäre wenn ein (legaler) Zug ausgeführt wird, dann könnte man ihn nach Regeln dafür als vermeintlichen Nicht-Spieler nicht bestrafen. Das ist natürlich offensichtlich widersinnig.
Übrigens ist formal auch 13.7 b) anwendbar:
"Unless authorised by the arbiter, it is forbidden for anybody to use a mobile phone
or any kind of communication device in the playing venue and any contiguous area
designated by the arbiter."
Das Ausschalten des Handys kann man durchaus auch als eine Benutzung des Handys interpretieren. Hintergrund ist natürlich, dass man verhindern will, dass angeschaltete Handys überhaupt im Turnierareal sind. Sie erst da auszuschalten kann tatsächlich sanktioniert werden. Die Folge der Regel ist freilich eine Ermessensentscheidung des Schiedsrichters - er kann die Person des Saales verweisen. Das gilt dem Wortlaut nach auch zwischen den Runden, wenngleich er hier vielleicht keinen Saalverweis aussprechen würde bzw. dies tolerieren könnte.
Zusammenfassung:
Der Schiedsrichter muss - da die Runde begonnen hat - wegen 12.3 b) auf Verlust entscheiden. Er hat hier auch keinen Ermessensspielraum.